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Ich will auf keinen Fall in den Himmel! 
von der Autorin und Sterbebegleiterin Petra Frey
 
Meine neue Begleitung war ängstlich, sehr ängstlich. Als ich die ersten Male bei ihr war, redeten wir nur wenig. Und wenn ich sage wenig, dann dürfen Sie sich die Unterhaltung folgendermaßen vorstellen.

„Hallo Rosemarie, wie geht es ihnen denn heute?“ „Ja, so halt.“ Tiefes Seufzen. „Ach ja? Was meinen sie denn damit?“ „Eben, wie es geht, wenn es so ist.“ „Wie ist es denn?“ Wieder tiefes Seufzen und trauriger Blick. „Es geht zu Ende.“ „Möchten Sie sich etwas unterhalten?“ „Egal.“ „Kann ich etwas für Sie tun?“

Schweigen.

Langes Schweigen.

Ich wartete ab.

Ich konnte Rosemarie noch nicht gut einschätzen, dafür kannten wir uns zu kurz. Was wäre wohl die beste Vorgehensweise? Sollte ich dran bleiben, am Gespräch oder von mir erzählen? Dann hätte sie die Gelegenheit auf etwas Abwechslung, aber wirklich helfen würde ich ihr damit wahrscheinlich nicht. Ich entschied mich für die erste Variante und fragte nach: „Was betrübt sie denn so?“ „Ach, mei …“ Sie sah hilflos zum Fenster hinaus. „Möchten sie darüber reden?“ „Bald ist es so weit, dann muss ich gehen.“ Ich entschied ich mich dafür, abzuwarten.

Wenn ich gewusst hätte, wie viel Stress die Stille in mir auslöst …

Pause.

Lange Pause.

Ich wartete immer noch ab.

Noch längere Pause. Endlich regte sie sich und schenkte mir einen schwermütigen, ängstlichen Blick.

„Und dann komme ich in den Himmel.“ Ihre Stimme wurde energischer. „Aber da will ich nicht hin!“

Sie wollte einfach nicht in den Himmel.

Jetzt stand ihr die pure Angst im Gesicht. Ehrlich gesagt, ich begriff nun gar nichts mehr. Alle wollen doch in den Himmel, oder nicht? Vielleicht war es eine Glaubensgeschichte, die mir nicht bekannt ist. Ich hakte nach: „Was macht Ihnen denn so Angst vor dem Himmel? Ist es eine religiöse Sache?“ Unvermittelt gab sie mir zur Antwort: „Na, zum lieben Gott möchte ich schon. Aber nicht in den Himmel. Da sind doch alle, die schon gestorben sind. Und da treffe ich auch alle wieder. Das ist furchtbar!“ Jetzt zitterte sie sogar ein wenig. Sie schien wirklich schreckliche Angst zu haben. „Wer oder was macht ihnen denn so Angst, dass sie da nicht hin möchten?“ Sie horchte auf. Jetzt hatte ich das Gefühl, den passenden Ton gefunden zu haben.

Und dann fing sie an, zu erzählen.

„Mein Mann ist da. Im Himmel. Und dann sehe ich ihn wieder. Aber der war nie lieb zu mir. Er ist schon vor mehr als 20 Jahren gestorben, weil er so furchtbar viel getrunken hat. Und immer wenn er getrunken hat, dann …“

Sie sprach nicht weiter, aber ich konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass es wohl eine schreckliche Zeit war.

Da kam mir eine Idee!

„Aber wenn ihr Mann doch nicht lieb und zu Ihnen und zu seinen Mitmenschen war, dann wird er nicht im Himmel zu finden sein. Ich glaube, da ist er nicht. Eigentlich bin ich mir da ziemlich sicher.“

Ihr Gesicht hellte sich auf und kurz darauf strahlte sie mich an. „Aber natürlich! Ach sowas! Da ist er bestimmt nicht. Ach mei, ja. Ach, was bin ich für ein Dummerchen. Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin. Der ist bestimmt nicht im Himmel, das kann ja gar nicht sein.“ Jetzt lächele sie, mehr noch, sie lachte und ich konnte ihre Erleichterung spüren. Entspannt lehnte sie sich zurück, klopfte ihre Bettdecke zurecht und nippte an ihrer Teetasse.

Und dann redete sie.

Sie redete viel.

Ich hörte zu.

Es gab viele schlimme Tage in ihrem Leben, aber sie erzählte mir auch, dass die letzten 20 Jahre noch sehr gute Jahre waren. Sie plauderte, lachte und blühte förmlich auf. „Das habe ich noch nie jemanden erzählt, aber nach dem Tod meines Mannes fühlte ich mich endlich frei. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so sagen darf, aber es ist eben so. Ich habe so jung geheiratet und dann kamen die Kinder. Es war nie Zeit für mich. Ach mei, er war doch immer so jähzornig …“

Sie wischte mit einer kleinen Handbewegung über ihr Kissen, als wollte sie die Vergangenheit wegstreichen.

Und dann berichtete sie mir von ihren vielen Reisen, von lieben Freunde, die sie gefunden hatte und von den schönen Momenten mit ihren 5 Kindern. Es waren noch viele gute Tage und je mehr sie über die guten Tage sprach, desto weniger Platz bekam ihre Angst vor dem Sterben.

Letzte Woche ist sie ganz friedlich eingeschlafen … und ich bin sicher, dass ihr der Himmel gefällt.

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